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Geflüchtete eingesperrt Griechenland startet umstrittenes neues Asylverfahren

Griechenland sperrt 55 Migranten ein, bis ihr Asylantrag entschieden ist. Das Verfahren zeigt, wie die Regierung künftig mit Flüchtenden umgehen will, die über die Ägäis nach Europa kommen.
Flüchtlinge hinter dicken Mauern: Griechische Polizisten vor dem Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos, das offene Lager wird bald durch ein geschlossenes ersetzt.

Flüchtlinge hinter dicken Mauern: Griechische Polizisten vor dem Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos, das offene Lager wird bald durch ein geschlossenes ersetzt.

Foto: Aggelos Barai/ AP
Globale Gesellschaft

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Als Kyriakos Mitsotakis sich zum Ministerpräsidenten wählen ließ, versprach er den Griechen Ordnung und Härte; so wollte er die Flüchtlingskrise in den Griff bekommen. Asylbewerber sollten endlich schneller abgeschoben werden.

Doch die Bilanz fällt ernüchternd aus: Rund 60.000 Flüchtlinge kamen 2019 auf dem Seeweg nach Griechenland. Als Mitsotakis sein Amt im Juli antrat, nahmen die Flüchtlingsbewegungen noch zu. Auf den überfüllten griechischen Ägäis-Inseln harren rund 42.000 Asylbewerber unter unmenschlichen Bedingungen aus - so viele wie noch nie.

Feuer im Flüchtlingslager: Ein Mann flieht mit einem Kind vor dem Tränengas der Polizei. Nach einem Brand waren auf Lesbos Proteste ausgebrochen

Feuer im Flüchtlingslager: Ein Mann flieht mit einem Kind vor dem Tränengas der Polizei. Nach einem Brand waren auf Lesbos Proteste ausgebrochen

Foto: REUTERS/Giorgos Moutafis

Nun will Mitsotakis die Wende schaffen: Zum ersten Mal sollen seine Beamten ein neues Asylgesetz anwenden. Es ist so hart wie umstritten. 55 Asylbewerber sind am Wochenende in zwei Booten auf der Insel Kos angekommen. Es handelt sich nach SPIEGEL-Informationen größtenteils um syrische, irakische, somalische und palästinensische Familien. An ihnen testen die griechischen Behörden nun das neue Gesetz.

Der Testlauf zeigt, wie Griechenland und Europa die Migranten und Flüchtlinge künftig behandeln werden, die über die Ägäis aus der Türkei kommen.

Der Auftrag des griechischen Migrationsministers an seine Mitarbeiter: Den Asylantrag der Geflüchteten innerhalb von 25 Tagen entscheiden, so lange werden sie im Abschiebeflügel des sogenannten Hotspots auf Kos eingesperrt. Bislang durften Asylbewerber zwar die Agäis-Inseln nicht ohne Weiteres verlassen, sich aber auf der Insel frei bewegen. Werden die Anträge nun abgelehnt, sollen die Migranten alsbald abgeschoben werden. Werden sie angenommen, dürfen sie schnell aufs Festland.

Notis Mitarakis, Griechenlands neuer Migrationsminister, flog am Wochenende persönlich nach Kos. Er habe seine Mitarbeiter angewiesen, Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz rasch von denjenigen zu trennen, die keinen haben und die so schnell wie möglich in die Türkei zurückgeschickt werden sollen, teilte er mit. "Wir glauben, dass dies eine Schlüsselrolle bei der Begrenzung der Ströme spielen wird."

EU drängt Griechenland zu mehr Abschiebungen

Der Test ist wichtig für die griechische Regierung und für ganz Europa. Mitsotakis steht doppelt unter Druck:

  • Laut Umfragen halten die Griechen die Migranten inzwischen für das dringlichste Problem des Landes. 76 Prozent der Bevölkerung bemängeln die Flüchtlingspolitik der Regierung.

  • Und auch die EU drängt auf effektivere Abschiebungen, schließlich ist die Route über Griechenland der beliebteste Weg in die EU. Mit dem neuen Gesetz versucht die griechische Regierung, sich aus dieser Situation zu befreien.

Das Gesetz sieht knappe Fristen und schnelle Entscheidungen vor. Auf den Inseln Kos, Lesbos, Samos, Chios und Leros baut die Regierung zudem große geschlossene Haftlager für die Flüchtlinge. Sobald sie fertig sind, werden dort Asylbewerber interniert. Möglichst schnell sollen dann ihre Anträge entschieden werden. Ganz so, wie es nun auf Kos getestet wird.

Auf diese Weise will die griechische Regierung in diesem Jahr 10.000 Migranten abschieben. Das wären fünfmal so viele Abschiebungen, wie die griechischen Behörden seit dem Flüchtlingsdeal zwischen EU und Türkei sie bisher durchgeführt haben. Das Abkommen hatte ab März 2016 die Flüchtlingsströme auf die griechischen Agäis-Inseln zunächst drastisch verringert. Mittlerweile aber steigen die Zahlen wieder.

Fotostrecke

Überleben im Lager: Wie sich Flüchtlinge auf Samos auf den Winter vorbereiten

Foto: Gianmarco Maraviglia

Die Abschiebungen, ein zentrales Element des Deals, klappen immer noch nicht. Die griechischen Behörden brauchen viel zu lange, um die vielen Anträge zu bearbeiten. Deswegen werden die Lager auf den Inseln immer voller. Im Frühling, bei besserem Wetter, wird die Zahl der ankommenden Boote wohl erneut steigen. Um ein funktionierendes Asylsystem zu etablieren, bleibt also nicht viel Zeit.

Auch jetzt ist aber keineswegs ausgemacht, wie schnell es den griechischen Behörden gelingt, die Anträge zu bearbeiten. Selbst unter den schärferen neuen Regeln können abgelehnte Asylbewerber Einspruch gegen die Entscheidung einlegen. Richter müssen dann über den Antrag entscheiden. Bis dahin müssen die Asylbewerber im geschlossenen Teil des Lagers auf Kos bleiben.

Juristen und Helfer kritisieren neues Asylgesetz

Bisher saßen in dem Gremium, das über die Einsprüche entschied, auch Sachverständige, die das Uno-Flüchtlingshilswerk UNHCR ernannt hatte. Sie verhinderten viele Abschiebungen - zum Beispiel, weil die Geflüchteten in der Türkei ihrer Meinung nach nicht sicher wären. Die griechische Regierung hofft augenscheinlich, dass die griechischen Richter strenger vorgehen.

Aktivisten und auch Juristen kritisieren das neue griechische Gesetz. Die pauschale Inhaftierung der Asylbewerber könnte ihrer Meinung nach unrechtmäßig sein. Nach EU-Recht muss stets im Einzelfall geprüft werden, ob ein Haftgrund vorliege. Außerdem sieht das Gesetz zahlreiche Möglichkeiten zur Verlängerung der Haft vor. Hilfsorganisationen fürchten zudem, dass künftig einige Flüchtlinge Probleme haben könnten, rechtzeitig einen Anwalt zu finden, der Widerspruch gegen den abgelehnten Asylantrag einlegen kann.

Transport per Fähre: Ein Flüchtling kommt im Hafen von Piräus an

Transport per Fähre: Ein Flüchtling kommt im Hafen von Piräus an

Foto: ALKIS KONSTANTINIDIS/ REUTERS

Einen weiteren Effekt dürfte der konservative Premier Mitsotakis als positiv verbuchen: Wegen der Inhaftierung werden die Asylbewerber künftig in den Stadtzentren von Samos, Lesbos und Kos weniger sichtbar sein.

Teile der griechischen Gesellschaft haben sich zuletzt radikalisiert. In der vergangenen Woche streikten die Bewohner der Inseln aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung. Auch auf dem Festland ist die Situation angespannt. Immer wieder blockieren Griechen Busse, die Flüchtlinge in Lager auf dem Festland bringen sollen. Sie fordern das ein, was der Premier versprochen hatte: Ordnung und Härte.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Eine ausführliche FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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